Nach der tollen gemeinsamen Woche zusammen mit Micheal Bohnenblust und Oli Heer (hier geht es zum Bericht von Bern nach Oostende), war für mich die Reise in Oostende noch nicht beendet. So ging für mich nach der erfolglosen Suche nach einem Hotel, dem letzten gemeinsamen Abendessen und einer kurzen Verabschiedung die Reise nach Stockholm erst richtig los – war ich doch meinem Endziel erst 300km näher gekommen.
Ich fuhr noch eine knappe Stunde der Küste entlang in Richtung Norden und suchte mir einen Zeltplatz für die erste Nacht im Zelt. Nach den hässlichen Hochhäusern änderte sich die Landschaft bereits an diesem Abend sehr bald. So kam es auch zu einer Begegnung mit einer Hasenfamilie. Das erste Mal Zelten klappte bestens, einzig der Tau und das Kondenswasser im Zelt machten mir am Morgen etwas zu schaffen.
Der nächste Reisetag war stark von Wind geprägt und führte mich an der Küste entlang nach Holland und dort über die dem Festland vorgelagerten Inseln nach Rotterdam. Dass Rotterdam einen grossen Hafen mit vielen Containern, Kränen, Zäunen, Baustellen und Umleitungen hat, durfte ich ebenfalls erfahren. Die Routenplanung hätte doch einige Kilometer weniger für diesen Tag vorgesehen gehabt. In Rotterdam angekommen stellte ich mein noch nasses Zelt im Hotelzimmer zum Trocknen auf. 😉
Von Rotterdam ging es am Tag darauf weiter ins Landesinnere von Holland. Ich hätte nie gedacht, dass dort wirklich so viele Leute mit dem Fahrrad unterwegs sind. Entsprechend privilegiert ist man auch als Velofahrer. Die Ampeln für den Radweg haben als Normalzustand immer grün und falls man doch einmal ausnahmsweise nicht Vortritt haben sollte, so halten die Autofahrer dennoch meistens an. Ich folgte den ganzen Tag einfach dem Routing von Google Maps. In Holland ist dieses sehr gut zu gebrauchen, später in Deutschland und Schweden dann teilweise weniger. Doch auch kurz vor Apeldorn bog meine Route von der Hauptstrasse direkt auf einen Singletrail in den Wald ab und folgte diesem. Wirklich erstaunlich (und erschreckend), was Google alles weiss. Mein Garmin lotste mich über die wohl einzige Brücke, die den Ästen nach zu urteilen sicher Wochenlang nicht mehr begangen wurde, zur Überquerung eines kleines Baches mitten im Wald.
Übernachten wollte ich an diesem Abend eigentlich irgendwo spontan auf einem Campingplatz, doch leider fand in Almelo keinen. Dank der tollen Unterstützung per SMS aus der Schweiz entschied ich mich deshalb für ein ehemaliges Gefängnis (Huis van Bewaring). Nicht gerade preisgünstig, aber doch den Preis wert – gab es doch deutlich mehr als nur Wasser und Brot. 😉
Nach einer erholsamen Nacht und einem ausgiebigen Frühstück ging meine Reise über die Grenze nach Deutschland weiter nach Dötlingen, einer kleinen Ortschaft, etwa 30km vor Bremen.
Den genauen Ort des Grenzübergangs (52.424146,7.019874) konnte ich erst jetzt während dem Schreiben dieses Textes anhand von GPS und Fotos rekonstruieren, während meiner Reise ist er mir nicht aufgefallen. Den Abend verbrachte ich an diesem Tag in Dötlingen auf der Suche nach etwas essbarem. Denn leider hatten ausgerechnet an diesem Dienstag alle Gasthöfe entweder Ruhetag oder Betriebsferien. So musste ich mich mit einem Käsebrot begnügen.
Mit einem dafür umso grösseren Frühstück startete ich die nächste Tagesetape quer durch Bremen nach Hamburg.
Hamburg ist sicher einen längeren Aufenthalt wert, doch dazu fehlte mir die Zeit, oder anders gesagt, ich wollte genug Zeit für Schweden haben. Meine Reiseplanung erfolgte unterwegs immer relativ spontan. So buchte ich an diesem Abend in Hamburg für den nächsten Abend eine Fähre von Lübeck-Travemünde nach Malmö, Schweden.
Mit der gebuchten Überfahrt stand fest, der letzte Tag in Deutschland ist ein Ruhetag. Waren doch nur knapp 80km zu fahren. So genoss ich auch fast den ganzen Nachmittag an der Sonne in einem Restaurant am Strand von Travemünde und schaute den vielen Schiffen zu.
Um abends aufs Schiff zu kommen musste/durfte ich, trotz dem grossen Veloverbotsschild am Hafeneingang, quer über den Skandinavienkai fahren. So ein einfaches Check-in hatte ich bisher noch nie erlebt, bekam ich doch, ohne ein Ticket oder Ausweis zu zeigen, direkt den Kabinenschlüssel und die Mahlzeitenbons am Zoll in die Hand gedrückt. Die riesigen Schiffsgaragen sind nicht besonders auf Fahrräder eingestellt, mehr auf Lastwagen und noch ein paar wenige PKWs und Motorräder. So hing mein Quervelo nach einigem hin und her an einem übergrossen Spanngurt an der Wand. 😉
Nach einer ruhigen nächtlichen Überfahrt war ich dann endlich in Schweden. Nach meinem Geschmack eher etwas zu früh am Morgen. Ich stand bereits um 07:15 Uhr beim Hafenausgang in Malmö, hatte bereits gefrühstückt und noch ganze sechs Tage Zeit um nach Stockholm zu kommen. So startete ich bei schönstem Wetter auf meine erste Etappe in Schweden.
Bereits bald merkte ich, dass neben der ungewohnten Sprache und Währung auch die Getränkeversorgung ein Problem werden könnte. Versorgte ich mich in Holland und Deutschland unterwegs noch meistens an Tankstellen mit Wasser, so war dies in Schweden nicht gut möglich. Am ersten Tag fuhr ich doch gerade bei nur einer einzigen Tankstelle mit stark überteuertem Shop vorbei.
In Schweden ist freies Campieren ausser Sichtweite von Behausungen erlaubt. So probierte ich dies auch bereits an diesem Abend aus. Ich fand es schwieriger als erwartet einen geeigneten Platz für die Nacht zu finden. Schlussendlich entschied ich mich für einen Standort am Waldrand in der Nähe von Liatorp. Beim Hinfahren hoppelte gerade ein Hase davon, so wusste ich auch, dass ich wohl keinen nächtlichen Besuch erwarten musste. Doch dieser kam dann doch. Bei Sonnenuntergang wurde ich plötzlich von elf Kühen aufmerksam gemustert, was mich aber nicht davon abhielt mein Feuer zu machen und zu versuchen Spaghettiwasser zu kochen (ohne Deckel mit meiner kleinen Pfanne leider erfolglos).
Nach einem etwas dürftigen Abendessen aus Aufbackbrötchen bei bester Gesellschaft von Kühen und tausenden von Mücken verbrachte ich eine erholsame Nacht in der freien Natur.
Am nächsten Morgen fand ich lange keine Möglichkeit Wasser einkaufen zu gehen. Ich fuhr durch viele Naturschutzgebiete, vorbei an einzelnen Häusern, aber nie an einem Einkaufszentrum oder einer Tankstelle mit Shop. Erst nach längerem Suchen fand ich einen Tankstellenshop, der gerade schliessen musste und noch seine verbleibenden Waren verkaufte. So war das einzige trinkbare eine Flasche CocaCola, denn Wasser war bereits ausverkauft. Wieder versorgt mit Flüssigkeit entschied ich mich spontan, meine Route etwas anders zu fahren. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war die Tatsache, dass eine Hauptstrassen in Schweden nicht immer auch asphaltiert sein muss. Vorbei an tausenden von Bäumen kam ich an diesem Abend nach Jönköping am Väterensee. Nach dem Verspeisen von Pasta und einer Pizza, so wie fast jeden Abend, fand ich das Camping „Villa Björkhagen“ nur durch Zufall, denn es war nicht auf der Garminkarte eingezeichnet. Um am nächsten Tag wieder ein eigenes Zimmer zu haben, nutzte ich das WLAN des Campings und buchte in Linköping ein Zimmer.
Die Etappe nach Linköping verlief ohne ein besonders interessantes Ereignis. Wie gewohnt für Südschweden hatte ich viele gerade Strassen durch Wälder, vorbei an kleinen Seen und Tümpeln. Den Abend verbrachte ich in Linköping mitten in der Fanzone. Fanzone? Ich war auch erstaunt die Frauen Fussball EM dort vorzufinden.
Nach dem wie üblich anstrengendsten Teil des Tages, dem morgendlichen Packen des Gepäcks, brach ich am nächsten Tag in Linköping auf um mein geplantes Tagesziel, Nyköping, zu erreichen. Dank tollem Wetter und einen leichten Seiten- und Rückenwind kam ich schnell voran und verzeichnete nach einer Stunde bereits eine gefahrene Strecke von 35km. Mit einer leicht tieferen Durchschnittsgeschwindigkeit war ich so bereits kurz nach dem Mittag am geplanten Ziel. Da mir das Wetter zum Campieren nicht passte, entschied ich mich dort am Bahnhof spontan die verbleibenden 110km bis Stockholm direkt anzuhängen. Das Wetter und der Wind waren mir wohl gestimmt, die Motivation stimmte und das Velo fuhr fast wie von alleine. So gings zügig voran, bis zur knapp verpassten Fähre in Skansholmen und dem kurz darauf folgenden Speichenbruch. Eine Speiche im Hinterrad hatte wohl genug von der weiten Welt gesehen und entschied sich 31km vor dem Ziel aufzugeben. Mir bleib nichts somit nichts anderes übrig, als einen Kabelbinder auszupacken und sie zu befestigen, die Hinterbremse auszuhängen und weiter zu fahren. Irgendwie musste ich ja weiter kommen, denn Speichenbrüche verheilen leider nicht von selbst. Ein Weiterkommen zu Fuss mit 25kg Gepäck war auch keine Option, wie auch Campieren und auf bessere Zeiten warten.
So erreichte ich nach einer 218km langen Tagesetappe in nicht ganz siebeneinhalb Stunden mein lange erwartetes Ziel. Aus dem unbekannten Punkt am Ende einer langen Linie auf dem Garmin wurde eine Stadt. Eine Stadt mit viel Natur, freundlichen Leuten und vielen tollen Orten zum Entdecken. Ideal um sich in den folgenden neun Tagen von der erlebnisreichen Radreise zu erholen.
Kerim Barhoumi
Strecke:
Oostende – Blankenberge – Breskens – Vlissingen – Middelburg – Burgh-Haamstede – Renesse – Ouddorp – Stellendam – Hellovoetsluis – Zuidland – Spijkenisse – Hoogvliet – Waalhaven – Rotterdam – Krimpen aab deb IJssel – Schoonhoven – Ijsselstein – Nieuwegein – Utrecht – Amersfoort – Voorthuizen – Apeldorn – Deventer – Rijssen – Almelo – Ootmarsum – Nordhorn – Lingen – Löningen – Lastrup – Cloppenburg – Dötlingen – Delmenhorst – Bremen – Zeven – Apensen – Buxtehude – Neuenfelder – Altona – Hamburg – Rahlstedt – Lütjensee – Schönberg – Sandesneben – Krummesse – Niederbüssau – Lübeck – Kücknitz – Travemünde – Skandinavienkai – Malmö – Lund – Höör – Sösdala – Hässleholm – Osby – Älmhult – Liatorp – Ryssby – Värnamo – Vaggeryd – Barnarp – Jönköping – Huskvarna – Gränna – Ödeshög – Väderstad – Mjölby – Malmslätt – Linköping – Norsholm – Norrköping – Aby – Stafsjö – Nyköping – Vagnhärad – Sörby – Mörkö – Skansholmen – Näs – Sibble – Varsta – Tumba – Tuna – Botkyrka – Hagersten – Stockholm
Ab Oostende ca. 1250km
Bern – Oostende – Stockholm ca. 2150km
Bohnenblust Emil + Imelda meint
Hut ab, Kerim. Das ist wirklich eine absolut beeindruckende Leistung. Und Dein Bericht ist spannend und amüsant. Willst Du eigentlich Journalist werden??
Liebe Grüsse
Emil