Wer an die Karibik denkt, dem kommt oft ein sonniger Strand in den Sinn oder Piratenfilme mit ulkigen Kapitänen. Die wenigsten denken dabei an Radrennen. Doch es gibt sie, die Radrennen in der Karibik. Eine der vielen Karbikinseln ist Martinique, sie ist französisches Staatsgebiet. Auf Martinique haben bereits zwei RSCler an der Martinique Tour teilgenommen: Ueli Schweizer im 1998, Raphael Clemencio im 2023. Dazwischen liegen 25 Jahre. Wir haben uns mit den beiden über ihre Erlebnisse geredet.
Fotos der letzten Austragung, Juli 2023:
Wie kommt man eigentlich auf die Idee, an der Tour de Martinique teilzunehmen?
Raphael: Die Tour de Martnique hat Swiss Cycling gefragt, ob sie Teams für die Tour stellen wollen. Diese Anfrage wurde auch an mein Team knippcycling weitergeleitet. Einige aus dem Team hatten vor etwa 10 Jahren bereits an dieser Tour teilgenommen und schwärmten von dieser Erfahrung. Deshalb haben wir uns entschlossen, als Team an dieser Tour teilzunehmen.
Ueli: Eine Mannschaft aus Genf nahm teil, einige Einzelfahrer wollten dem Beispiel folgen. So bildete sich eine Mixmannschaft, der ich mich auch anschloss. Speziell war auch, dass wir mit den Trikots der Schweizer Nationalmannschaft fuhren; wir waren das Team Schweiz.
Raphael: Ja, wir waren auch immer die «Équipe Suisse», auch wenn wir kein Schweizerkreuz auf dem Trikot hatten.
Wie hoch ist der Stellenwert einer solchen Tour?
Ueli: Das hängt davon ab, wen man fragt… Für die Einheimischen Radrennfahrer ist es der Höhepunkt des Jahres, für uns Europäer jedoch eine spannende und coole Abwechslung.
Raphael: Das sehe ich auch so! In der Austragung 2023 haben viele lokale Teams teilgenommen, für sie war es sehr wichtig. Und auch der Stellenwert für die Leute vor Ort war hoch. Es gab viele Fans am Streckenrand und eine professionelle Berichterstattung jeden Tag. Aber vom Renngeschehen her würde ich es mit einem nationalen Rennen in der Schweiz vergleichen.
Ueli: Ja, das war auch bei meiner Teilnahme so. Ein markanter Unterschied zu uns: Das Medieninteresse ist viel grösser als bei einem Eliterennen in der Schweiz. Besonders ist auch der Umfang eines solchen Rennens für dieses Niveau. Es gibt selten Eliterennen über eine Woche, das war besonders.
Habt ihr in der Vorbereitung auf ein solches Rennen euer Training geändert?
Ueli: Das Rennen fand während unserer Sommerpause statt. Zu diesem Zeitpunkt war ich im Eliteteam von Aldo Schaller. Der Fokus lag klar auf den nationalen Rennen. Somit war es für mich eher eine Abwechslung. Ich habe mich nicht speziell darauf vorbereitet.
Raphael: Ich hatte unbewusst eine gute Vorbereitung. Rund eine Woche vorher nahm ich noch an internationalen Bahnrennen in Italien teil. Heisse Rennen auf der Betonbahn waren im Nachhinein eine gute Akklimatisierung. Zuerst hatte ich ein wenig Bedenken, dass mir die Umfänge für eine solch lange Tour fehlen würden. Im Nachhinein gesehen, war die Vorbereitung ideal. Die Hitze bei dieser Tour darf man schon nicht unterschätzen. Am zweiten Tag zum Beispiel fuhr ich im Gelben Trikot und musste an einem heissen Tag alle Angriffe abwehren, da hat mich die Hitze fast umgehauen.
Ueli: Das ist natürlich ärgerlich bei einer so langen Rundfahrt, schon am zweiten Tag…
Raphael: Ja, aber ich konnte mich auch schnell erholen. Nach der Etappe am zweiten Tag, bei dem ich Probleme hatte, gab es noch ein Zeitfahren am Nachmittag. Dieses konnte ich dann bereits wieder gewinnen.
Hattet ihr das Ziel, das gelbe Trikot zu erobern, oder was waren eure Ziele für die Tour?
Raphael: Ich war voll im Flow. Ich hatte keine Ahnung und konnte die anderen Fahrer nicht einschätzen. Auch im Team war ich nicht als Kapitän vorgesehen. Das war für mich in Ordnung, ich sehe mich auch eher als Sprinter und nicht als Gesamtklassementfahrer. Das gelbe Trikot holte ich mir auch mit einem Sprint am ersten Tag. Wir als Team haben zwar versucht, es zu verteidigen, aber im Verlauf der Tour habe ich mich mehr auf das Trikot für die Zwischensprints konzentriert. (— welches Raphael dann auch gewinnen konnte, ebenfalls das Gesamtklassement für den kämpferischsten Fahrer. Anm.d.Red.).
Ueli: Meine Erfahrung war gemischt. Wir hatten einen sehr guten U23-Fahrer, für den wir gefahren sind. Das Rennen begann mit einem Prolog, aber wir hatten keine Zeitfahrräder, nur Lenkeraufsätze. Trotzdem konnten wir die ersten drei Plätze sicherstellen und ich belegte den zweiten Platz. Dadurch lag der Fokus des Feldes auf uns. Unser Team hatte mit Defekten zu kämpfen und versuchte trotzdem, den Kapitän zu unterstützen. Als ich in der vierten Etappe versuchte, eine Lücke in einer Abfahrt zu schliessen, stürzte ich schwer und beendete die Etappe unter starken Schmerzen. Aufgrund einer Fraktur am Unterarm war das Rennen danach für mich vorbei. Das hat mich sehr geärgert, denn die nächste Etappe wäre ein Zeitfahren gewesen, meine Spezialdisziplin. Auch anderen im Team erging es nicht besser: Zwei verloren den Anschluss, kürzten aus Versehen ab und wurden disqualifiziert. Trotz widrigen Umständen konnte unser Kapitän im Gesamtklassement einen starken dritten Platz erreichen.
Zeitungsbericht 1998 – «Trois Suisses»:
Was ist euch neben dem Radsport in Erinnerung geblieben?
Ueli: Ich habe Martinique sehr gut in Erinnerung, so dass ich auch einige Jahre später dort wieder meine Ferien verbracht habe. Die Anstiege waren selbst für das Mietauto steil 😉 Aber das tropische Flair, die schönen Strände und die französische Infrastruktur haben mich sehr beeindruckt.
Raphael: Ich habe ähnliche Eindrücke gesammelt. Leider hatte ich nicht genug Zeit, die Insel zu erkunden, und während des Rennens blieb wenig Zeit, die Insel zu bestaunen. Aber ich habe einen sehr positiven Eindruck von Martinique gewonnen. Am meisten bleiben mir die Menschen am Strassenrand in Erinnerung, die vom Radsport begeistert waren. Sie haben alles gegeben! Die Szenerie war wie bei der Tour de France. Man fühlte sich wie ein Profi. Das war eine sehr schöne Erfahrung.
Ueli: Schon zu meiner Zeit war die Berichterstattung über das Rennen in den Medien sehr professionell. Abends konnte man bereits die Zusammenfassung des Rennens im TV sehen.
Wir haben bereits viel über das Rennen und die Insel diskutiert. Was gilt es abschliessend noch zu erwähnen?
Raphael: Zusammenfassend bleibt mir vor allem die Begeisterung der Bevölkerung in Erinnerung. Sie pflegen eine sehr offene und einladende Kultur. Allerdings täuscht die französische Infrastruktur teilweise, und nicht allen geht es gleich gut. Umso schöner ist es, dass sie ein solch tolles Fest am Strassenrand veranstalten. Das haben wir sehr geschätzt.
Ueli, Raphael – Danke für eure eindrucksvollen Schilderungen!
(Interview: Sebastian Gygax)
Erste Etappe, Raphael auf dem ersten Platz:
Weil Martinique zu Frankreich gehört, sieht man viel Bleu-Blanc-Rouge in den Ranglisten.
Reportage der ersten Etappe
Die Kommentatoren über den Zielsprint: «…Allez … C’est qui? C’est Clemencio? … Clemencio, le Dix-Neuf, me semblet-il…»