Muri-Gümligen, 17. Juli 2023, Mitternacht: Emanuel «Mänu» Zbinden und Noah sind parat. Los gehts!
Penne al Pesto, ein voller Teller, um Mitternacht. So beginnt eine Langdistanz-Tour bei Emanuel «Mänu» Zbinden und Noah Schriber. Die zwei RSCler haben sich ein Ziel gesetzt. Es ist weit weg. Das Städtchen Entrechaux, Provence, östlich von Orange. Nonstop. 800 KM.
In Entrechaux macht Mänus Familie mit einer anderen Familie Ferien. Es warten dort also 14 Tage Ausspannen, nach der Tour. Die Tour selber ist eine Langdistanzfahrt, möglichst nonstop, mit Umwegen über Savoyen-Pässe. Geplant ist auch noch, in Nizza vorbeizuschauen.
Der Weg ist das Ziel.
Aber Am Schluss, nur nicht zu philosophisch werden…: Das Ziel ist das Ziel!
Geplant wäre dieser Weg etwa so: Muri-Gümligen — Unterwallis — Savoyen-Pässe — Nizza — Entrechaux/Provence. Luftlinie nur 353 KM. Die geplante Tour, mit Umweg über Nizza, hat gut 800 KM, 20’000 HM. Man sucht sich ja wenn schon jeden Pass zusammen, den es da gibt. Und das Meer ist halt das Meer, das muss her, bevor die Tour gegen Westen in die Provence abbiegt.
Der geplante Rhythmus: 20 Stunden fahren, 3 Stunden schlafen.
Aber äbe, erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.
«Schon in der ersten Nacht, mitten im JULI – Hallooo!!! — sind es sehr tiefe Temperaturen. Ich (Mänu) wollte ja nicht den Kleiderschrank mitschleppen, aber es war schon nach wenigen Stunden klar: Ich hatte zuwenig Kleider dabei. Mein Körper hat schon in der ersten Nacht mit Fieber reagiert. Devise war aber: Weiterfahren. Je mehr wir in die Savojen-Berge reinkamen, desto mehr gings mir einfach dreckig. ‹Durchhalten, das geht dann schon›! Die Rettung war, dass es in Chamonix 30 Grad warm wurde. Ich konnte mich erwärmen – es ging rasch besser!»
Bourg-St-Maurice. 7000 HM sind in den Beinen, 333 KM, echli müed. Schlafen oder weiter? Was macht das Wetter? Es macht Gewitter! «Aber wir wollen in 24 Stunden in Nizza sein… Der Col d’Iseran kommt bald, 2770m, der höchste fahrbare Pass der Alpen… rechnenrechnenrechnen… Oh Sh… sie geht nicht auf, unsere Planung!»
Pläne kann man ändern.
Der Entscheid: Ab ins Hotel, eben weil es wieder regnet, die ganze Nacht, fast ein Monsunregen. «Im Hotel haben wir etwas mehr als 3h geschlafen… Dann Zmorge, gemütlich, und Umplanung. Richtungswechsel, mehr ins Flache, in Richtung Grenoble, in Richtung Rhonetal. Lange, schöne Strecken zum Bolzen. Aus den Alpen hinaus ins Rhonetal, in die warme Südsonne, das motiviert immer.
«Sehr speziell war er schon, der letzte Morgen vor dem Ankommen. Wir waren kaputt. Immer mehr Lavendel auf den Feldern und Chnobli. Wir kamen fast so in einen Rausch, die Endorphine. Es kam uns ein anderer auf seinem Rennvelo immer näher, wir waren kurz zusammen, dann: Attackeeeee (also WIR, nicht er)! Speedride mit Bikepacking, wir mit 35km/h, er abgehängt, das sind dann dreifach Endoprhine…
Die Ankunft nach dem Mittag: Duschen. Liegen. Liegen. Liegen. «Wir waren beide sehr apathisch, brabbelten sinnloses Zeug, ich (Noah) habe alles immer gesucht, Handy, sonst Zeug. — Es war in den ersten Tagen schwierig, die Müdigkeit wegzubringen, wieder Rhythmus zu finden.»
In der Provence gehts natürlich nicht ohne weitere Tour. «Mehrere Male den Mont Ventoux — der ist einfach geil!»
Nach einer Woche Provence fährt Noah alleine nach Hause. In 1 Etappe, inkl. Plattfuss am Genfersee (in Rolle, wo nichts mehr rollt).
Mänu fährt später mit seiner Familie nach Hause.
Zwei Monate danach im Rückspiegel
- WETTER | Noah: «Also vom Wetter her gings noch gut, wir waren nie nass…»
Mänu: «Waaas?!!! Es hat dauernd geschifft!»
— «Ähm, ja OK, aber man trocknet ja schnell wieder…» - NAVIGATION | Der geografische Planer ist eher Noah. Wir haben mit Strava geplant. Meistens kams gut. Einmal aber… (Mänu): «Hä?! Fährt Noah jetzt voll auf die Autoschnellstrasse? Hej, fahr rechts weg hier!» — Wir mussten schon manchmal umkehren, oft auch anhalten für Orientierung. GPS-Navi ist das Wichtigste, aber gutes Internet auf dem Handy — mit einem Anbieter, der funktioniert im Ausland! — wäre schon noch hilfreich gewesen… — Grundsätzlich, in der Planung einer solchen Tour, würde ich es nicht mehr ohne Zeitdruck («bis X müssen wir in Y sein») machen. Nonstop aber schon!
- ESSEN | (Noah) «Eigentlich bin ich Vegi, auf so Touren ist aber Ausnahme, weil es sonst zu kompliziert wäre. Man muss in so einer Tour essen, was man bekommt. Zum Beispiel hatten wir eine Pizza zum Znacht, ich habe dann eine zweite in die Lenkertasche gesteckt, es war irgendwo nach Grenoble, 22 Uhr, wir sind weitergefahren, es hat geregnet, aus der Lenkertasche fahrend kalte Pizza mampfen — kein Problem, isch gäbig. Ansonsten hatte ich viele Biberli dabei, die sind ideal. Aber es war bald mal auch zuviel – und nur noch ein Runterwürgen.» Beim Essen in der Pizzeria wird das Velohinstellen und der Sitzplatz so gewählt, dass man die Velos im Auge behält. Ein Veloschloss ist zu schwer/umständlich zum Mitschleppen.
(Mänu) «Ich habe ziemlich viel Sponserriegel und andere Carbo-Sachen mitgenommen. Sponser-Salztabletten gegen Krämpfe, Winforce-Isopulver. Auch bei mir: Man hat schnell mal gar keine Lust mehr, zu essen, man weiss aber dass man muss. Man kaut es nur noch lustlos weg, ein Runterwürgen.» - SCHLAFEN | (Mänu) Ich hatte einen Leichtschlafsack, habe ohne Matte geschlafen. Wir wollten ja fahren, nicht schlafen. Ich hatte den Schlafsack in der Tasche unter dem Oberrohr. Er kam mir zu schwer vor, das nächste Mal überlege ich mir, ganz ohne Schlafsack zu fahren. Irgendwo in einem Bushaltehüsli echli anlehnen, dösen, dann weiter – das längt eigetlech.
- PACKEN | «Je weniger, desto besser!» Es reicht wirklich wenig. 1 Satz Rennvelokleider, Ärmlinge, Gilet, zweites Unterleibchen, leichte Windjacke (sie ist leichter als eine Regenjacke). T-Shirt, leichte Turnschlarpen, fertig. Was beim nächsten Mal anders sein muss: Noch leichter fahren, sicher ohne Schlafsack. Aber: Mit gutem Regenschutz. Beinlinge. Weniger Essen mitschleppen, unterwegs kaufen, aber mind. 2 Kreditkarten dabeihaben (erhöht Chance auf Funktionieren). Grösserer Zahnkranz, ein 34-er.
- TECHNIK | Krass, wir hatten nie eine Panne! Mänu der Mech: «Und ganz wichtig: Wir sind mit sauberer Kette angekommen.» — «Hä, was?! Sie hat gezwitschert!» — «Also jedenfalls haben wir die Kette gewachst, also blieb sie topsauber – und jetzt habe ich übrigens das noch bessere Wax, REX ist das Beste.»
- MENTAL | Schlafen/runterkommen während der Tour war schwierig. Als wir hätten können/sollen, waren wir innerlich immer noch voll auf Strom. Wir haben Stunden mit Schwätze vertrödelt statt mit Schlafen. Mänu: «Ich war so etwa 35 Stunden am Stück ohne Schlaf.» Je länger die Tour dauerte, desto mehr war mentaler Fokus gefragt. Nasse Füsse wegdenken! Andere Probleme wegdenken! «Unser Zusammenspiel, Kommunikation etc. war zwischendurch auch ziemlich am Limit…» – Wichtig war auch, nicht die finalen KM abzuzählen, sondern in dieser mühsamen Wettersituation nur auf eine Frage zu fokussieren: «[Dann]+[dort] wird es trocken werden.»
- NEXT | Würdest Du es wieder machen?
Noah: «Bin etwas hin-und-her gerissen… Es gibt ja auch noch das «offizielle» Transcontinental. Das gluschtet mi JETZEGRAD nid. Da kommt dort noch mehr Aufwand mit, die Logistik on time, es kostet Geld. Sowieso, wenn ich Langdistanz trainieren will, verliere ich die Spritzigkeit für die Rennen, beides geht nicht. Ich will weiterhin Rennen fahren.»
Mänu, wenige Tage nach der Tour: «Es längt!» — Ein paar Wochen danach… Moll, warum nicht? Langdistanz hat etwas Spezielles drin. Ich grüble immer wieder dran herum, wohin als nächstes? Es macht süchtig.
Interview/Text: Tom Mayer